Freitag, Juni 23, 2006

im supermarkt.

gern gehe ich in den supermarkt. auch heute war ich wieder mit dem einkaufswagen von ware zu ware unterwegs, wie immer suchte ich als erstes die gemüseabteilung auf. während aus den lautsprechern mozart säuselte, wuchtete ich wirsing, weißkohl und sellerie in den wagen, als die zarten oboen einsetzten und sich wie ein verliebtes schwanenpärchen abwechselnd neckten, wog ich ein gutes kilo festkochender salatkartoffeln der sorte selma ab, drückte auf das kartoffelpiktogramm und pappte das preisschild an eine von diesen tüten, von denen man immer gleich zwei abreißt.

nachdem auch der brokkoli verstaut war, schlenderte ich am getränke- und leergutcenter vorbei, nicht ohne einen blick auf die neuesten getränke-ideen zu werfen und mir eine flasche schwip-schwap für den abend zu erlauben. dann stand ich vor dem kühlregal. und hier hätte der supermarkt-dj gut daran getan, ein bisschen eine andere musik aufzulegen; die sphärischen choralgesänge aus 2001 zum beispiel. denn wie dort die astronauten staunend vor dem schwarzen monolithen stehen, so stand hier jetzt eine frau mit großen augen vor den joghurttribünen. gleich würde sie ihre hand ausstrecken und einen joghurt berühren, nahaufnahme pur natürlich, der chor jetzt atonal bis dorthinaus, dramatik nicht mehr auszuhalten – aber wo jetzt im fernsehen die werbung käme, gab ich mir einen ruck und sprach die dame an.

„gute frau“, begann ich. „sicher denken sie, dass sich die abwehrkräfte ihres körpers im blutkreislauf befinden und dort schädliche eindringlinge bekämpfen. das ist auch so. aber die eigentliche hauptarbeit ihres abwehrsystems wird nicht im blutkreislauf geleistet, sondern in ihrem darm. nahezu achtzig prozent der abwehrreaktionen ihres körpers finden in ihrer darmflora statt. bedenken sie aber doch einmal, wie leicht das gleichgewicht ihrer flora aus den fugen geraten kann: schlechtes wetter, unausgeglichenheit, stress - schon haben sie die eindringlinge in ihrer flora. um sich erfolgreich dagegen zu schützen, sollten sie also ihre abwehr unterstützen, wozu sich dieser joghurt-drink hier bestens eignet, ist er doch, wie sie sicherlich bereits ahnen, gerade im darm, dem zentrum ihrer abwehr, aktiv. er ist überdies besonders bekömmlich und wurde von instituten bestätigt. ich selbst genieße ihn schon seit jahren, multifrucht und himbeer-limette sind mir die liebsten. nicht umsonst ist er deutschlands beliebtester joghurt-drink. toll, dass es sowas gesundes gibt.“ und mit dem guten gefühl, der frau geholfen zu haben, nestelte ich einen obstgarten sowie eine mit kräutern mild verfeinerte salatcreme aus dem regal und trottete weiter richtung wursttheke, wobei ich – einer plötzlich auftauchenden fröhlichkeit nachgebend – im garten eines kraken aus der sesamstraße leise vor mich hin pfiff.

an der wursttheke verlangte ich aufschnitt und eine grillspezialität. während die verkäuferin fachmännisch den schinken sägte, verfiel ich in ein leichtes grübeln darüber, inwiefern sich so eine huhnfamilie auf die verkaufsfläche des supermarktes verteilt haben könnte: hier in der auslage womöglich der kräftige oberschenkel der frau mama, der sohnemann in spe im freilandregal gleich nebenan, der onkel dämmerte als aromenextrakt friedlich in der terrine vor sich hin, während es der herr papa immerhin in die konservensuppe geschafft haben könnte.

„sonst noch was?“

ich verneinte, wünschte ebenso und wollte schon meinen tausch mit ein paar knittrigen scheinen, welche ich wiederum für ein paar aufrecht aber sinnlos vebrachte stunden irgendwo eingetauscht hatte, begleichen, da sah ich hart an den nativen ölen, schräg gegenüber der regalmeter für nudelprodukte einen kleinen verköstigungsstand stehen, den ein reichlich bekanntes schokoladenunternehmen hergerichtet hatte; ein neuer schokoladenriegel sollte wohl in den schokoladenriegelmarkt eingeführt werden, wo er sich – mit der der jugend und allem neuen so eigenen kühnheit – gegen andere, im harten konkurrenzkampf schon tapfer erprobte und deshalb erfahrenere riegel zu behaupten gedachte. während die standdame noch mit einem betriebswirtschaftlich dreinblickenden herrn geschäftliche konversation betrieb, blätterte ich in der ausliegenden broschüre, welche die chocomania, die ingredienzen sowie die hohe kunst der chocoladen-degustation erläuterte. als beide sich mir zuwandten und ihre taschenrechner einsteckten, erhob ich das wort.

„bevor sie mir gleich diesen ihren riegel zum probieren geben und ich mich von seinen zweifellos vorhandenen vorteilen gegenüber anderen riegeln überzeugen lassen werde, möchte ich kurz das gespräch mit der bemerkung eröffnen, mit welchem wohlwollen ich stets den schokoladen ihres hauses begegne, zumal ich der meinung bin, dass in einer zeit, in der die gedanken so leicht in alle winde zerflattern und von mancherlei ablenkungen hinfort getragen werden, in welcher der mensch, gefangen von der mühsal des täglichen trotts, sich seiner eigentlichen bestimmung nur allzuoft schmerzlichst entsagt, dass in so einer zeit also wie der unsrigen der mensch recht daran tut, sich beizeiten mit muße in den tiefen genuss einer mit kunstverstand hergestellten schokolade zu begeben; und wie anders sollte dies geschehen, als mit einer schokolade, die dem reichen blütenbaume ihrer produktionskünste entstammt, die nur eine tief empfindende seele im ständigen ringen hervorgebracht haben kann und deren zarter schmelz eine symphonie aus erlesenen zutaten enthält, die eine bereits beim öffnen des silbernen mantels freudig erregte seele zur höchsten wonnebefriediung aufschwingen läßt, in jenem moment, in dem der schmelz auf der zunge zerfließt und im geheimen bunde mit den geschmacksknospen sein innerstes geheimnis preisgibt und jene zum blühen bringt. ein paradiesisches glück durchströmt meinen körper in solchen augenblicken der sinnreichen erkenntnis, dass kunst und kakaobohne, welche eine gütige natur dem menschengeschlechte zur ewigen erbauung geschenkt hat, so einträchtig in ihrer schokolade zusammengefunden haben, wobei ich hier, auf den berghöhen meiner betrachtung, meine bescheidene meinung nicht verbergen möchte, dass die tiefschwarze neunzigprozentige zunächst wohl nur denjenigen am zugänglichsten sein wird, die bereits von der siebzigprozentigen so wunderbar durchdrungen sind. nun sehe ich aber, dass meine gedanken mich wieder weit hinfortgetragen haben, so dass mir die zeit, ihren riegel mit muße zu genießen, nicht mehr gegeben ist, denn ein kleiner aufsatz möchte noch geschrieben werden und amüsieren muss ich mich anschließend; ihrem neuen riegel wünsche ich dennoch aus wärmsten herzen erfolg.“

und so ging ich, beschwingt von dieser unterhaltung, zur kasse, wo ich meinen einkauf fröhlich aufs band warf und mozart lauschend darauf wartete, bis das rote laserlicht seine lektüre beendet hatte. so machen es schließlich alle.


[siehe auch]

17 Comments:

Anonymous Anonym said...

György Ligeti wäre begeistert davon, dass sein Chorwerk am Kühlregal verlangt wird. Schade, dass er vor zwei Wochen gestorben ist und so seinen Durchbruch in die profane Welt des Alltags knapp verpasst hat. Ringo dagegen sollte sich Gedanken machen, so als einziger noch lebender Komponist im Supermarkt. - Feiner Text aber auch!

12:12 AM  
Anonymous Anonym said...

Manueller Trackback:

Den Satz der Woche 25/2006 ...

7:23 AM  
Anonymous Anonym said...

Ihre Huhnfamilie macht mich weinen vor Lachen.

9:05 AM  
Anonymous Anonym said...

Eine gar köstliche Geschichte.

12:10 PM  
Blogger kein einzelfall said...

Als Einkäufer zeigte sich undundund noch von einer interessanteren Seite; er verband dann mit seiner feinen gesellschaftlichen Bildung eine zuvorkommende Aufmerksamkeit und Gefälligkeit und bot alles auf, um seine Leser auf die angenehmste Art zu unterhalten und zu vergnügen.

(frei nach Kant-Freund R.B. Jachmann)

1:07 PM  
Blogger undundund said...

[nachtrag: gestern nacht, kurz vor dem einschlafen, ist mir dann auch noch eingefallen, dass in der charlie and the chocolate factory-verfilmung von tim burton es eine szene gibt, in der eine wonka-schokolade den monolithen aus 2001 ersetzt. - also, nur für den fall, dass jemand den film gerade geistig parat hat ...]

1:16 PM  
Anonymous Anonym said...

Der mündige Einkäufer. Schöner Text.

2:43 PM  
Blogger samoafex said...

Zum Nachtrag: Ich hätte ja gewettet, du hast deshalb den Hinweis auf 2001 in den Text eingebaut ;)

5:44 PM  
Blogger undundund said...

;)

12:16 AM  
Anonymous Anonym said...

Ich stehe unter Schock. Ab Zeile 5 konnte ich lediglich ungläubig staunen. Dann verwischten die Zeichen.

1:07 AM  
Blogger Schwarzes Schaf said...

Herrlich.

10:18 AM  
Blogger Schwarzes Schaf said...

[Anzumerken wäre vielleicht noch, schokoladenbezüglich: meiner Ansicht nach scheiden sich die Geister ein zweites Mal im Hinblick auf den Vergleich der 90%igen mit der 99%igen.]

10:24 AM  
Anonymous Anonym said...

Das ist fürwahr köstlich. Ich allerdings hätte der Verkostung einer Schokolade nicht wiederstehen können. Niemals!

12:40 PM  
Blogger undundund said...

schokoladenexperten!

11:22 PM  
Anonymous Anonym said...

Bestutzt: Wieso um alles in der Welt spricht man eigentlich von der Darmflora, wo es doch die Fauna ist, die sozusagen alles Tierische umfasst?! Oder bin ich oll und weiß nicht, dass Bakterien und (leider ja auch manchmal Viren) Pflanzen sind und keine Tiere?

Mal bitte aufklären. Mich.

Schokolade.
Pah.

2:06 PM  
Blogger undundund said...

oh, keine ahnung.

7:05 PM  
Anonymous Anonym said...

Waswunder, dass Aufklärung solch einen miserablen Ruf hat...

Ich meinerseits nun wikipediate und erfuhr, dass alles ein Irrtumn ist:
Die (veraltete) Bezeichnung "Flora" beruht auf der früher oft vertretenen Auffassung, Bakterien und viele andere Mikroorganismen gehörten zum Pflanzenreich, denn die in einem bestimmten Gebiet vorkommenden Pflanzen werden als "Flora" dieses Gebiets bezeichnet.

12:55 PM  

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